„Wir sollten uns viel öfter die Frage stellen ob es richtig ist, nur weil es alle tun.“
Vor Kurzem bin ich über dieses Zitat gestolpert (leider weiß ich nicht mehr, wo…). Ich war ja immer schon ein großer Fan davon, Dinge zu hinterfragen. Seit ich Hundetrainerin bin, fällt mir sehr oft auf, dass Leute Dinge mit ihren Hunden machen, die bei näherer Betrachtung einfach keinen Sinn ergeben. Oft reicht es, wenn ich mir die simple Frage stelle: Warum? Wenn ich dann keine sinnvolle Antwort habe, sollte ich es dann weiter machen? Oft unterhalte ich mich mit Leuten, die bestimmte Dinge mit ihren Hunden trainieren wollen. Bei näherem Nachfragen und Überlegen, warum sie genau das trainieren wollen, bekomme ich nicht selten die Antwort: „Naja… das muss ja so sein…“ In gar nicht so wenigen Fällen kann ich guten Gewissens sagen: „Nein, das muss nicht so sein. Wenn es für alle Beteiligten kein Problem darstellt…“ Und sehr oft sind die Menschen erleichtert, weil ihr Bauchgefühl ihnen eigentlich immer gesagt hat, dass man da gar nichts dran ändern braucht…
Immer dieses „Muss“. Was jetzt folgt, sind meine persönlichen Gedanken zu dem Thema, vielleicht befreit es den einen oder anderen von der Idee, eine Sache muss genau so passieren, obwohl das Bauchgefühl vielleicht etwas anderes sagt. Dinge hinterfragen hilft dabei (das gilt natürlich auch für diesen Beitrag ;) ).
Typische Beispiele im Hundetraining, die ich immer wieder höre:
- Ein Hund muss sich zu jedem Zeitpunkt von jeder Person angreifen lassen.
Wem ist das eigentlich eingefallen? Nur weil Hunde flauschig sind, gibt uns das noch lange nicht das Recht, sie immer und überall anzufassen. Bei Menschen wäre das stark übergriffig, warum wird Hunden so wenig Recht auf Individualdistanz zugestanden?
- Hunde müssen immer freundlich und gut drauf sein.
Könnte man sich als Mensch auch nicht vorstellen, oder? Also ich bin nicht immer gut drauf! Ich finde, jedes Lebewesen hat das Recht darauf, einen schlechten Tag zu haben, jemanden nicht zu mögen oder einfach mal den Vogel rauszuhauen! Auch unsere Hunde!
- Hunde muss man festhalten, um ihnen Zecken zu entfernen, Impfungen zu verpassen etc.
Ist doch normal - einen Hund kann man ja leicht fixieren, und so oft kommt das dann ja auch nicht vor. Warum also nicht? Weil wir es besser können! Weil auch Hunde ein Recht auf ein Mitspracherecht haben! Medical Training macht’s möglich, durch gutes, positives Training können sehr viele dieser Dinge freiwillig erfolgen.
- Hunde dürfen nicht bestimmen, wo und wann sie gerne spazieren gehen möchten.
Zu 95% gehe ich für meinen Hund spazieren - warum sollte er dann da nicht auch mal den Weg entscheiden dürfen?
- Hunde dürfen nicht sagen, wann sie Aufmerksamkeit haben wollen.
Warum eigentlich nicht? Meine Dackeldame kann mir sehr wohl sagen, wenn sie etwas von mir braucht. Dafür hab` ich einen Hund, um mich um ihn zu kümmern und für ihn da zu sein. Und wenn‘s mal gerade nicht möglich ist, hat sie gelernt, dass das nun mal manchmal vorkommt und muss sich nicht darüber ärgern. Ja, das geht!
Seit ich Mama bin, laufen mir noch viiiel mehr solcher nicht hinterfragten Dinge über den Weg. Menschen tun oder behaupten oft Dinge über Babys, ohne auch nur mal eine Sekunde länger über die Sinnhaftigkeit nachgedacht zu haben.
Typische Beispiele:
- Babys müssen alleine schlafen.
Diese Aussage ist schon allein aus evolutionärer Sicht einfach nur falsch. Babys, die alleine schliefen, überlebten nicht. Daher macht es einfach keinen Sinn, diese kleinen, hilflosen Geschöpfe alleine zu lassen. Wie oft Felix im Schlaf kurz die Augen öffnet, sieht, dass jemand bei ihm ist und wieder weiterschläft. Wieso sollten wir ihm diese Sicherheit nehmen?
- Babys müssen durchschlafen.
Noch so was: schon aus Sicht der Evolution ein völliger Quatsch und sogar gefährlich! Trotzdem ist das eine der häufigsten Fragen, die man als neue Mama gestellt bekommt… Und wahrscheinlich eine der Hauptgründe dafür, warum man sich als frischgebackenes Elternteil oft Gedanken darüber macht, ob man etwas „falsch“ macht, wenn das eigene Baby nicht wie ein Stein 8 Stunden durchschläft…
- Babys brauchen einen Schnuller.
Felix hat seit Geburt an keinen Schnuller. Wir brauchen ihn auch nicht! Warum? Wozu einem Menschen etwas antrainieren, was man ihm später wieder mühevoll abtrainieren muss? Und wenn schon Schnuller, dann mit Bedacht. Oft geht es nämlich bei Babys nicht nur um ein akutes Nuckelbedürfnis, sondern das Bedürfnis nach Nähe und vieles mehr… Kennenlernen und Zuhören ist hier das Wichtigste, finde ich.
- Babys pinkeln und erledigen ihr großes Geschäft in die Windel, bis sie 3, 4, 5 (?) Jahre alt sind.
Felix macht sein großes Geschäft seit Monaten (er ist jetzt 6 Monate alt) hauptsächlich ins Töpfchen, sehr oft erwischen wir auch das Pinkeln schon, und die Stoffwindel bleibt trocken. Wer sagt, dass sich Babys nicht unwohl fühlen, wenn sie in ihrer eigenen Sch… sitzen müssen? Wer sagt, dass wir Erwachsenen den idealen Zeitpunkt dafür bestimmen dürfen, wann das Kind doch jetzt bitte (und dann aber am besten gleich sofort!) nur mehr ins Töpfchen machen soll? Und ja, das bedeutet auch, in ‚unpassenden‘ Situationen auf‘s Klo zu gehen - aber ich finde, auch Babys haben denselben Respekt verdient…
- Babys essen Brei, sie können nicht selbst entscheiden, was sie wann essen wollen.
Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass Babys mit Beikost-Start nur Brei vertragen. Auch ich hab das vor Felix gedacht. Gut, dass ich auch das hinterfragt habe. Seit Felix sich dafür entschieden hat, dass er nicht mehr nur Muttermilch essen mag, bekommt er ‚echtes‘ Essen und entscheidet selbst, wann er wieviel essen mag. Manchmal mag er lieber Brei, dann bekommt er den, allerdings warten wir mit der nächsten Lieferung, bis er uns deutlich über einen offenen Mund oder ausgestreckte Hände zeigt, dass er mehr will. Ich bin überzeugt davon, dass niemand so gut weiß, wie viel Hunger er hat wie Babys und kleine Kinder. Wenn wir es ihnen nicht gekonnt abtrainieren, indem wir sie entweder zwangsbelöffeln oder sie zum Aufessen bewegen, obwohl sie eigentlich schon längst satt sind.
- Babys dürfen nicht die volle Aufmerksamkeit der Erwachsenen haben und nicht ständig ihren Willen durchsetzen.
Meine persönliche Lieblingsaussage. Mein Kind darf mir sagen, wenn es etwas von mir braucht! Solang es mich als Erwachsenen braucht, um seine Bedürfnisse zu erfüllen, ist es meine Aufgabe, dies so gut als möglich zu tun! Vor allem, wenn es um elementare Bedürfnisse wie Hunger, Klogehen oder Nähe geht! Punkt! Ich bin Mama geworden, um für mein Kind da zu sein!
Wir erwarten so viel von unseren Hunden und Kindern. Und ganz oft sind diese Erwartungen bei näherer Betrachtung nicht haltbar und sogar eigentlich mehr als unlogisch! Versteht mich nicht falsch, ich habe größten Respekt vor jeder Mutter, jedem Vater, jedem Hundebesitzer. In meiner Vorstellung macht jeder das, was für alle Beteiligten das Beste ist, nach bestem Wissen und Gewissen!
Ich will mit diesem Eintrag auch nicht sagen, dass ich die Weisheit mit dem Löffel gefressen habe und nur mein Weg der richtige ist! Im Gegenteil!
Mir geht`s auch nicht darum, zu sagen, dass Babys nur mehr windelfrei leben sollen oder Hunde immer und überall bestimmen dürfen, wo der Spaziergang hin geht. Ich will damit nur sagen, dass wir einfach viel mehr Dinge hinterfragen sollten! Und nicht nur tun, weil‘s halt so ist! Und oft braucht es dafür einen Anstoß von außen, um Dinge zu überdenken, von denen man oft gar nicht mehr merkt, dass man sie tut. Deshalb auch dieser Text. Als kleiner Schubser, das nächste Mal einfach mal ein kurzes ‚warum‘ in den Raum zu werfen und die Sinnhaftigkeit zu hinterfragen. Ich werd` mich auch mal wieder mehr an der Nase nehmen und freu` mich schon auf den nächsten Moment wo ich mir denk: „Moment… warum machst du das jetzt eigentlich gerade so…??“ ;)
- Nina
#LebenmitKindundHund