Ich kränkle momentan ein bisschen vor mich hin, was heißt, ich verbringe derzeit noch mehr Zeit vor dem Laptop als üblich. Was auch heißt, dass ich gewollt oder ungewollt up-to-date bleibe, was Posts und Shares auf Facebook angeht. Ein Artikel vom Jänner 2016 macht gerade wieder die Runde: „Positive Verstärkung - Der Verrat an der Natürlichkeit unserer Hunde“.
Ich erinnere mich, dass ich diesen Artikel bereits letztes Jahr überflogen habe, mir dabei an den Kopf gegriffen und das Thema dann auch wieder ad acta gelegt habe. Nachdem er heute allerdings erneut aufgetaucht ist, muss ich mich fragen: warum hält sich so ein Artikel so hartnäckig?
Ich will hier niemanden angreifen, ganz im Gegenteil! Ich finde, jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung. Was ich aber auch finde, ist, dass jede Meinung auf Fakten beruhen sollte! Und damit meine ich nicht die „alternativen Fakten“, die momentan vermehrt in den Umlauf geraten.
Aber schauen wir uns doch einfach mal ein paar der „Fakten“ in dem Artikel genauer an!
ZITAT 1: „Positive Verstärkung - Der Verrat an der Natürlichkeit unserer Hunde“
Ja, man kann hier gleich mal bei der Überschrift beginnen. Denn bereits da scheitert es - an mangelndem Verständnis, was positive Verstärkung überhaupt bedeutet! Positive Verstärkung heißt nicht, dass der Hund mithilfe von Futter „trainiert, dressiert und erzogen“ wird. „Verstärkung“ heißt PER DEFINITION, dass die Wahrscheinlichkeit eines Verhaltens HÄUFIGER Auftritt, es wird also verstärkt!
Wie kann das unnatürlich sein? Jedes Lebewesen lebt, WEIL es sich verhält. Und es verhält sich, um die Umwelt zu beeinflussen - also eben, um Konsequenzen hervorzurufen. Sind diese Konsequenzen positiv, wird das Verhalten verstärkt, d.h.: es wird öfter auftreten!
Das ist das Natürlichste, was man sich vorstellen kann. Wie kann das also ein Verrat daran sein?
Dazu muss man aber natürlich auch verstehen, dass es mehr gibt als nur Futter, um ein Verhalten positiv zu verstärken - wir bieten dazu einen eigenen Workshop an, ich lade den Verfasser des Artikels hiermit herzlich ein, gratis an diesem Seminar teilzunehmen!
ZITAT 2: „Schlimm wird es für unsere Hunde, wenn der Mensch als Bezugsperson sich dieser Verantwortung entzieht und es dem Hund überlässt, wie er sich entscheiden will“
Schon jahrzehntelang haben Trainer überall auf der Welt unglaubliche Erfolge damit, Tieren aller Arten beizubringen, in ihrer eigenen Pflege und bei Untersuchungen FREIWILLIG mitzumachen (Stichwort: Medical Training). Das ganze Konzept dieser Art des Trainings basiert darauf, dass das Tier eine Wahl bekommt, ein Mitspracherecht, also selbst bestimmen kann, ob und wann es bereit ist, mitzumachen. Was damit möglich wird? Tiere, die sich freiwillig Blutabnehmen lassen, Hunde, die sich - ohne festgehalten werden zu müssen - scheren lassen, sich ohne Probleme einen Verband anlegen lassen etc. - und das alles stressfrei!
Dies heißt aber nicht, dass wir unsere Tiere fröhlich selbst entscheiden lassen, ob sie jetzt Nachbars Katze jagen oder vielleicht doch den nächsten Menschen vom Rad befördern wollen! Dem Hund Entscheidungsmöglichkeiten zu geben ist nicht gleichzusetzen mit „mach was du willst“ - hinter Kooperation steckt gegenseitiger Respekt und Vertrauen!
Ich bin so frei und überlasse euch jetzt selbst die Entscheidung, ob dies „schlimm“ für den Hund ist, wenn er die Wahl hat!
ZITAT 3: „Und das Einhalten einer Regel muss auch nicht mit Futter oder anderen Verstärkern belohnt werden. Im Miteinander ist das Wissen darum, dass es jemanden gibt, der diese Regeln verwaltet und aufrecht erhält, für unsere Hunde Belohnung genug.“
Jetzt frage ich mich… Woher wollen wir wissen, was unsere Hunde denken? Ach ja, da haben wir schon sowas besprochen wie Lerntheorie und Konsequenzen… Das Schöne daran: es entscheidet immer der HUND (und nicht wir Menschen), was für ihn belohnend ist! Belohnend ist eine Konsequenz dann, wenn das Verhalten in Zukunft öfter auftritt!
Wenn also nun der Hund, der eigentlich nicht auf den Tisch springen soll, aus purer Freude am Wissen daran, dass wir Menschen Regeln durchsetzen, ab sofort die vier Pfoten am Boden lässt: Gratuliere! Funktionierende Systeme soll man nicht ändern!
Sollte dies nicht der Fall sein, dann möchte ich hier noch kurz mit einem Klischee aufräumen: nur weil unsere Hunde ein Mitspracherecht bekommen und auch mal Entscheidungen selber treffen dürfen, heißt das nicht, dass sie keine Regeln und Grenzen kennen! Das heißt nur, dass man Regeln auch bedürfnisorientiert durchsetzen kann - indem erwünschtes Verhalten positiv verstärkt wird, sei dies mit Futter, Spielzeug, Aufmerksamkeit, gerne ausgeführten Verhaltensweisen etc.! Im Übrigen sind diese Konsequenzen oft ganz natürlich in der Umwelt vorhanden, man muss sie nur erkennen und wissen, wie man sie nutzen kann!
Fazit des Artikels, ZITAT 4: „Finden Sie heraus, wer Ihr Hund hinter aller Lerntheorie, Erziehungszielen und Trainingsplänen wirklich ist! (…) Nutzen Sie seine Fähigkeiten und öffnen Sie sich für seine und Ihre eigene Natürlichkeit. Die finden sie allerdings nicht in Trainingsplänen und Lerntheorien.“
Auch wenn es momentan in zu sein scheint, Fakten zu ignorieren, auch wenn in Ländern wie der Türkei einfach wissenschaftliche Fakten aus Lehrbüchern gestrichen werden, etc.: Sie existieren! Egal, ob wir sie anerkennen, oder nicht! Lernverhalten funktioniert bei ALLEN Lebewesen, ob wir es akzeptieren wollen, oder nicht!
In einem gebe ich dem Autor allerdings recht - ich finde zumindest, dass man das auch so verstehen könnte: Beim Training sollte immer der Nutzen für das Tier im Vordergrund stehen, nicht der des Trainers!
Hier also noch einmal meine Einladung an den Verfasser des Artikels, sich im Rahmen eines Seminars gemeinsam darüber auszutauschen - ich glaube an gegenseitigen Informationsaustausch und daran, dass wir offen sein sollten, immer wieder Neues zu lernen! Auch die renommiertesten Wissenschafter bleiben nicht stehen und hinterfragen selbst ihre eigenen Erkenntnisse immer wieder! So beruht die Überzeugung, dass der Mensch über den Hund entscheiden muss, großteils auf der Tatsache, dass wir vor einigen Jahrzehnten noch glaubten, der Mensch müsse Rudelführer sein. David Mech, der den Begriff des sog. „Alpha“ damals geprägt hatte, widerlegte dies schon bald selbst wieder, da er nach näherer Betrachtung erkannte, dass eine harmonische Mensch-Hund-Beziehung andere Grundlagen braucht (siehe Video).
Um auf meine ursprüngliche Frage zurückzukommen - warum hält sich nun solch ein Artikel so hartnäckig? - fällt mir als Antwort nur ein, dass offenbar noch eine große Lücke besteht im Verständnis, was Belohnung überhaupt ist. Wir werden uns in einem der nächsten Artikel genau mit diesem Thema beschäftigen.
Nun bleibt mir nur noch ein Appell an euch: In Zeiten wie diesen, wo Terrormeldungen zum Alltag gehören, wo der Trend in vielen Bereichen des Lebens immer mehr dazu geht, Rückschritte zu machen und Dinge zu negieren, die schon jahrzehntelang bewiesen sind und dementsprechend auch erfolgreich angewandt werden, lasst uns doch gegen den Strom schwimmen und ausnahmsweise mal Fakten nicht ignorieren, sondern uns zunutze machen.
Probiert es mal aus! Das Prinzip der positiven Verstärkung funktioniert im Übrigen auch beim Menschen - ganz ohne Verrat an der Natürlichkeit desselbigen!
- Nina
Antwort auf folgenden Artikel: http://blog.leitwolf-training.de/positive-verstaerkung-der…/
Video über D. Mech (ab 1:10): https://www.youtube.com/watch?v=tNtFgdwTsbU